Die berliner republik als kampfbegriff
Max A. Hæfer
Die ¹Berliner Republikª als Kampfbegriff?
Die ¹Berliner Republikª war ein Kampfbegriff. Johannes Gross, der ihr ein Manifest schrieb, drçckte damit seine Hoffnung auf ein Deutschland aus, das in seiner neu-alten Hauptstadt zu einem normalen, souveråneren Stil findet und dabei die positiven Bestånde der Bonner Republik behålt. Bonn stand fçr Westbindung, Demokratie, Freiheit undLiberalitåt. Die Verankerung in der Nato und in der Europåischen Union hatten die Voraussetzungen fçr die Wiedervereinigung geschaffen, und die soziale Marktwirtschaft sorgte fçr eine ækonomische und soziale Erfolgsgeschichte. Doch verband sich mit der Bonner Republik stets auch ein ± etwa im Vergleich zu anderen Nationen ± unsouveråner Politikstil. Bonn repråsentierte den historischen Pendelschlagvon der ¹Machtversessenheit in die Machtvergessenheitª (Hans Peter Schwarz). Politische Unsicherheit, die nach der Katastrophe verståndlich war, wurde im Lauf der Jahre zur Attitçde, so dass in- und auslåndische Beobachter die Deutschen kritisierten, sie håtten es sich in einer Art selbstverschuldeter Unmçndigkeit allzu bequem eingerichtet. Johannes Gross beschrieb den Bonner Stil wie folgt:¹Bonn zeigt den Begriff Hauptstadt auf das logische Minimum reduziert. Noch weniger wåre nicht denkbar, ohne dass die Bezeichnung Hauptstadt unanwendbar wçrde. . . . Dort wird die Bundespolitik betrieben, aber es ist nicht vorstellbar, dass sie bedrohlich, abenteuerlich, allzu ernsthaft und darum ernst zu nehmend betrieben werden kænnte. In Bonn konzentriert sich die politische Macht des Bundes, abernur die des Bundes und nur die politische. Bonn ist ein Stçck zusåtzlicher informeller Gewaltenteilung, Machtverteilung, und gehært damit zu den vielen Krisenstabilisatoren.ª1 In Bonn waren Volk und Wirtschaft abwesend. Auch andere Machtinstitutionen, die in den meisten Staaten ihren Sitz in der Hauptstadt haben, verteilten sich auf andere Zentren. Diese Fragmentierung war nach dem ZweitenWeltkrieg ein Ausdruck der deutschen Angst vor sich selbst. Nach der Wende 1989 befçrchteten viele politische Beobachter, dass das vereinigte, græûere Deutschland dem Græûenwahn verfalle, erst recht wenn die Regierung nach Berlin umziehe. All diese Øngste und Selbstzweifel kamen bei der knappen
1 Johannes Gross, Phænix in Asche, Dçsseldorf 1989, S. 40 f.
Hauptstadt-Entscheidung des Bundestags 1991wieder hoch. Beim Umzug 1999 wurden sie abermals wiederholt. Allerdings merkbar leiser. An Bedenken mangelte es freilich nicht. Berlin werde einen nationalistischen Kurs fahren und die Westbindung abstreifen, befçrchtete etwa Margarita Mathiopoulos. Die Berliner Republik werde ¹verostenª, meinte Henryk M. Broder, weil die Hauptstadt mitten im ehemaligen DDR-Gebiet liege. Und es gab die Befçrchtung,Deutschland werde seine NS-Vergangenheit verdrången, weshalb ein Mahnmal zentral, gleich neben dem Brandenburger Tor, errichtet werden mçsse. Die Optimisten erhofften sich vom Regierungsumzug, dass die Metropole Berlin die politische Klasse weltoffener und intellektueller mache, dass die geschichtsmåchtige Stadt Berlin die Republik weiter normalisiere, dass sich also das Verhåltnis der Deutschen zusich selbst entkrampfe. Schlieûlich gab es die Hoffnung, dass die Lage mitten im deutschen Osten das Verståndnis fçr die neuen Bundeslånder verbessere. Die Optimisten waren auch davon çberzeugt, dass der Umzug nach Berlin an den Grundzçgen der Bonner Auûenpolitik sowie an der innenpolitischen Machtverteilung nichts Fundamentales åndern werde. Heute hat die ¹Berliner Republikª den Charakter einesKampfbegriffs verloren. Die Optimisten haben Recht behalten. Sie sind die heimlichen Sieger. Hielten sie nicht die (west) deutsche Nachkriegsgeschichte fçr gelungen, und wurde dies nicht durch das çberwåltigende Votum der Ostdeutschen 1989 beståtigt? Bejahten sie nicht unverdrossen die Wiedervereinigung und setzten diese unter dem Vorzeichen der westdeutschen Verfassung durch, wåhrend die…